Der fortschreitende Klimawandel führte im Jahr 2019 zur Initiierung des sogenannten „Green Deals“ durch die EU-Kommission. Darin wird das Ziel der Klimaneutralität der EU bis 2050 festgeschrieben. Seit 2019 wurden diverse Maßnahmen im Zusammenhang mit dem „Green Deal“ ergriffen. Hierzu gehört zum Beispiel die Initiative zur Stärkung der Kreislaufwirtschaft in der Automobilindustrie. Neben den Themen Nachhaltigkeit und Widerstandsfähigkeit (Resilienz) wird durch die Kommission auch das Thema einer verstärkt nutzerorientierten Industrie vorangetrieben. Inspiriert vom japanischen Konzept der Society 5.0, das versucht, eine Balance zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und der Lösung gesellschaftlicher sowie Umweltproblemen herzustellen, hat die EU-Kommission das Konzept Industrie 5.0 entwickelt. Es ist nichts anderes als ein Paradigmenwechsel in der Industriepolitik.
Industrie 5.0 – die wertegetriebene Evolution von Industrie 4.0
Während Industrie 4.0 weitestgehend technologiegetrieben ist und die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit von Industrieunternehmen durch die digitale Transformation hin zur vernetzten Wertschöpfung propagiert, verfolgt das Konzept Industrie 5.0 einen wertegetriebenen Ansatz (siehe Abbildung 1). Es integriert Industry 4.0 Technologien aber mit dem Fokus auf den Bedürfnissen der Mitarbeiter.
des Recyclings von Produkten zur Stärkung der Nachhaltigkeit. Darüber hinaus sieht es die Steigerung der Widerstandsfähigkeit von Industrieprozessen vor, um Krisen besser begegnen zu können. Letzteres ist vor allem vor dem Hintergrund der Auswirkungen der Covid-Pandemie sowie der Zunahme bewaffneter Konflikte auf die Lieferketten der europäischen Industrie zu sehen. Wesentliche Konzeptkomponente aus unmittelbarer Industriesicht ist jedoch der Fokus auf den Arbeitnehmer im Unternehmen. Hier steht im Vordergrund, dass Technologie vor allem den Bedürfnissen der Mitarbeiter angepasst sein soll und ergo eine stärkere Integration des Mitarbeiters in die Entwicklung und den Einsatz von Technologie erfolgen soll.
Die Vorteile von Industrie 5.0 werden in der Möglichkeit gesehen durch stärkere Mitarbeiterintegration zu einer besseren Motivation und Arbeitsleistung zu kommen. Darüber hinaus sollte die Stärkung der Nachhaltigkeit z.B. die Abhängigkeit europäischer Industrieunternehmen von Rohstofflieferung von außerhalb der EU reduzieren. Ähnliches gilt für eine gestärkte Resilienz z.B. durch die Verwirklichung von Konzepten, wie modularer Produktion oder des Echtzeit-Monitorings der Lieferketten gesehen.
Abbildung 1: Gegenüberstellung Industrie 4.0 und Industrie 5.0
Industrie 5.0 – Veränderung der Prozesse in der Industrie
Im Hinblick auf den Menschen-orientierten Aspekt von Industrie 5.0 könnte das Konzept die Arbeitsprozesse z.B. in der Fertigung verändern. Durch den Fokus auf die Bedürfnisse der Mitarbeitenden kommt es zu einer Stärkung der Rolle der Beschäftigten und einem stärker integrierten Arbeitsumfeld. Der Einsatz von Technologie dient der Verbesserung der Arbeitssituation und nicht nur der Optimierung von Prozessen und Kostenstrukturen. Industrie 5.0 wird die unter Industrie 4.0 entwickelten Technologien in diesem Sinne nutzen. Anwendungsfälle in der industriellen Fertigung umfassen u.a. die Übernahme von gefährlichen Montageaufgaben z.B. in der Fertigung von Turbinenschaufeln durch Roboter, die durch den Mitarbeiter gesteuert werden oder der Einsatz von Augmented Reality, um hochqualifizierte Wartungsarbeiten auch durch weniger qualifizierte Personen durchführen zu lassen. Diese Anwendung wird durch den steigenden Fachkräftemangel zunehmend wichtig. Dieser Use Case wird u.a. durch Eviden mit seiner Remote Expert Lösung adressiert. Darüber hinaus können mobile (Kommissionierungs-) Roboter und Exoskelette zu einer Verbesserung der Arbeitsqualität im Kommissionierungsprozess in Lagern beitragen. Sogenannte Wearables können helfen Gefahren für den Mitarbeiter, wie z.B. austretende Flüssigkeiten oder Gase zu erkennen, bevor es zu körperlichen Schäden kommt (siehe Abbildung 2).
Industrie 5.0 – die Zukunft
Industrie 5.0 ist ein Konzept der EU-Kommission, welches einen wesentlichen Beitrag zur Realisierung des „Green Deals“ leisten könnte. Das Konzept wird zurzeit diskutiert. Wie alle „Top down“ Initiativen der EU-Kommission ist die Voraussetzung für die Realisierung von Industrie 5.0 eine Zustimmung der Mitgliedsstaaten. Darüber hinaus werden auch die Wirtschaftsverbände versuchen hierauf Einfluss zu nehmen. Im Unterschied zu Industrie 4.0, das eine technologiegetriebene Initiative ist, bedingt Industrie 5.0 auch gesellschaftliche und rechtliche Veränderungen innerhalb der EU. Eine wesentliche Voraussetzung ist u.a. die Realisierung einer „Circular Economy“ in der EU. Daher werden insbesondere die sich auf Nachhaltigkeit und Resilienz beziehende Aspekte von Industrie 5.0 noch etliche bürokratische Hürden nehmen müssen. Die Realisierung einer Nutzer-zentrierten Orientierung in den Unternehmen wird sich jedoch mit bereits existierenden Technologien, wie Augmented Reality oder AI schnell realisieren lassen.
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