Wenn aktuell allerorten davon die Rede ist, dass es in Deutschland einen Nachholbedarf bei der Digitalisierung gibt, dann kann man mit Blick auf die jüngste Studie von PAC sagen: Ja, die Daten unserer aktuellen SAP-Erhebung stützen diese Einschätzung mit Blick auf den Status quo. Sie machen aber auch Hoffnung mit Blick auf die Pläne der Unternehmen. Viele der befragten SAP-Kunden streben nämlich eine Modernisierung der Prozesse im Zuge ihrer Migration zu S/4HANA an und folgen dabei SAPs Clean-Core-Ansatz. Ein wesentliches Mittel der Wahl für die erforderlichen unternehmensspezifischen Anpassungen: SAP Business Technology Platform (BTP).
PAC hat im Juli und August 2024 mehr als 550 europäische Unternehmen zum Status quo ihrer SAP S/4HANA-Migration und zu ihren damit verbundenen Plänen bezüglich Digitalisierung und Prozessmodernisierung befragt. Mehr als 100 der befragten Firmen kommen aus Deutschland. Deren Antworten haben wir in einer Sonderauswertung analysiert. Demnach hat mehr als die Hälfte der befragten Firmen die S/4HANA-Migration abgeschlossen (so viele wie in keinem anderen europäischen Land). Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch, dass etwa die Hälfte der Firmen noch migrieren muss. Angesichts dessen, dass nur noch gut drei Jahre bis zum Ende der regulären Wartung der SAP-Altsysteme bleiben, dass erfahrene SAP-Berater knapp sind und dass die S/4HANA-Migration häufig mit einer Prozessmodernisierung einhergehen soll, wird die Zeit knapp.
Zum letzten Punkt, der Prozessmodernisierung, ergibt sich ein interessantes Bild je tiefer man in die Ergebnisse der Umfrage eintaucht. Zunächst einmal überrascht, dass zwei Drittel aller befragten Firmen aus Deutschland die Frage nach einer Modernisierung und Standardisierung im Zuge der S/4HANA-Migration verneinen. Schaut man sich indes nur die Antworten der Firmen an, die noch in der Planungsphase stecken, zeigt sich ein komplett anderes Bild: Innerhalb dieser Gruppe will eine deutliche Mehrheit die Prozessmodernisierung sehr wohl in Angriff nehmen. Das zeigt, dass Firmen, die die S/4HANA-Migration noch vor sich haben, weitreichende Anpassungen der Geschäftsprozesse anstreben, und sie wollen sich dabei an den SAP-Standards für das Prozessdesign orientieren – auch das zeigen die Daten der Umfrage.
Das wird SAP mit Wohlwollen hören, denn ein zentrales Anliegen des Softwarekonzerns verbirgt sich hinter dem „Keep the Core Clean“-Ansatz. Dieser legt den Kunden nahe, die individuelle Anpassung der Geschäftsprozesse nicht im Kern des ERP-Systems vorzunehmen, ihn also unverändert zu belassen und stattdessen Änderungen mithilfe externer Erweiterungen zu implementieren und mittels definierter Schnittstellen anzubinden. SAP betont dieses Paradigma aus gutem Grund, denn das übermäßige Customizing der ERP-Software (R/3, Business Suite/ECC) hat in der Vergangenheit dazu geführt, dass zum einen SAP selbst unzählige Release-Stände seiner Software pflegen musste. Zum anderen mussten Kunden mit stark angepassten ERP-Systemen bei jedem Release-Wechsel enormen Aufwand betreiben, um ihre SAP-Umgebung dem aktualisierten ERP-Release anzupassen.
Offenbar wollen weder SAP noch die Kunden diesen Missstand in einer S/4HANA-Umgebung wiederholen – das zumindest lässt sich anhand der PAC-Umfrage sagen: 74 Prozent der befragten Firmen in Deutschland wollen demnach der SAP-Empfehlung eines Clean Core folgen. Wichtige Beweggründe neben der Release-Fähigkeit sind die Aussicht auf mehr Flexibilität und Agilität sowie der zügige Zugang zu Innovationen, etwa in Bereichen wie künstliche Intelligenz und GenAI.
Nichtsdestotrotz wird es auch in einer neuen S/4HANA-Umgebung einen Bedarf an individueller Gestaltung der Geschäftsprozesse geben. Mögen sich Abläufe etwa in der Finanzbuchhaltung noch weitgehend standardisieren lassen, so sind in der Produktion, im Lieferkettenmanagement oder in der Lagerverwaltung durchaus unternehmensspezifische Abläufe erforderlich, um etwa Warenströme und Produktionsabläufe individuell zu verwalten. Für diese Anpassungen sieht SAP die sogenannten Side-by-Side-Extensions vor, was nichts anderes bedeutet, als kundenspezifische Erweiterungen außerhalb des S/4HANA-Kerns zu implementieren.
Für die Umsetzung dieser Side-by-Side-Extensions positioniert SAP die eigene Business Technology Platform (BTP). Sie integriert verschiedene Funktionen, beispielsweise für Anwendungsentwicklung und -integration, Datenanalyse oder Datenbankmanagement und die Einbindung von KI-Lösungen. Während wir in unserer Erhebung aus dem Jahr 2023 noch eine große Skepsis gegenüber der BTP feststellen mussten, drehte sich in der aktuellen Umfrage das Bild: 70 Prozent der befragten Firmen aus Deutschland planen den BTP-Einsatz oder nutzen die Plattform bereits.
Der funktionale Schwerpunkt der BTP-Nutzung liegt angesichts der vielen anstehenden S/4HANA-Migrationen sicherlich auf der Applikationsentwicklung und -integration, wenngleich auch die anderen funktionalen Segmente stark nachgefragt werden. Dennoch muss man festhalten, dass die SAP-Kunden die BTP nicht unbedingt kritiklos einsetzen. Häufige Kritikpunkte lauten zum Beispiel „zu teuer“ und „zu komplex“. Doch auch wenn Wettbewerber durchaus leistungsstarke Alternativen zu den diversen BTP-Bestandteilen anbieten können, bietet doch keine andere Lösung das gesamte Spektrum an Funktionen für SAP-zentrierte Anwendungsumgebungen aus einer Hand. Insbesondere für die nahtlose Integration von kundenindividuellen ERP-Erweiterungen kann die BTP wichtige Basisdienste wie einheitliche Oberfläche, einheitliches Daten- und Domänenmodell sowie einheitliche Sicherheitsarchitektur unter einem Dach zusammenführen.
Insgesamt zeigt die Erhebung, dass die befragten Firmen die S/4HANA-Migration für eine Modernisierung ihrer Prozesslandschaften auf Basis der BTP nutzen wollen. Bemerkenswert ist zudem, dass sie häufig den SAP-Empfehlungen, etwa zum Clean Core, folgen wollen. Vor dem Hintergrund der vielfach schwierigen Erfahrungen mit übermäßigem Customizing der ERP-Landschaften erscheint dies sinnvoll und verständlich.
Vom Clean Core versprechen sich viele Befragte vor allem Verlässlichkeit und Sicherheit. Sie nehmen damit in Kauf, dass sie eigene Arbeitsabläufe im Backoffice unter Umständen an den Vorgaben der SAP anpassen müssen. Das scheint für die meisten Befragten aber durchaus erstrebenswert.